Irische Melancholie
Text und Fotos: Stephan KäuferEntspannt liegen die Schafe neben der mörtellos errichteten Steinmauer im Gras. Gewärmt von ihren dicken Wollpulovern und noch von der Mauer reflektierten Sonnenstrahlen sowie geschützt vor dem kalten Wind. Gelangweilt gähnt eines der Tiere in den Himmel. Ein anderes meckert und brabbelt unverständliches Zeug in den Tag. Wolken in allen Grautönen treiben vom Atlantik kommend einen bis in cremiges weiß changierenden in den Spitzen zart rosafarbenen Himmel vor sich her. Der nächste Regenschauer kommt. Ebbe hat die höher gelegenen, am Ende der fjordähnlich zulaufenden, Uferstreifen der Loughros Bay vom Meerwasser befreit. Salzig nach Tang und Verwesung schmeckt die Luft. Der Erde verbunden, ursprünglich, immerwährend. Als schmales Rinnsal findet der Owentoclee River durch den dunkelbraunen, beinahe schwarzen Schlamm seinen Weg in die Bucht. Schließlich geht der Fluß, da wo der gelblich braune Sandstrand beginnt, im grüngrauen Wasser der Bay auf. Der Regenschauer hat das Land erreicht. Kalt, durchdringend und unbarmherzig entläd er sich. Doch fern am Horizont, vor der irischen Küste, durchbrechen bereits wieder Sonnenstrahlen das Dunkel. Kann eine Landschaft Melancholie empfinden, kann sie zur gleichen Zeit so voller Leben sein?
Der Wechsel von Regen zu Sonne geschieht schnell, hier im nordwesten Irlands. Während die Halbinsel Inishowen mit ihrem Leuchtturm Malin Head gleichzeitig nördlichster Punkt Irlands als auch des County Donegal ist, markiert die Donegal Bay das südliche Ende der Grafschaft. Stark zerklüftet ist die Küste. Zwischen einsamen Buchten erstrecken sich häufig kilometerlange, zum Baden einladende, Sandstrände. Im Süden der Region befindet sich Loughros Bay, etwa fünfzehn Autominuten westlich von Ardara dem Zentrum der irischen Tweedproduktion.
„Unregelmäßig eingewebte kurze Wollfäden unterschiedlicher Färbung kennzeichnen Donegal Tweed“, erzählt Shaun Molloy. Molloy stellt in der Weberei neben seinem Wohnhaus in Ardara Tweed, den orginal „Donegal Tweed“ her. Schafe, Wolle und Tweed Markenzeichen, wichtiger Exportartikel und neben einigen anderen – irisches Klischee. „Die Garne beziehen wir ausschließlich aus Kilcar“, erklärt der 53 - jährige weiter.
Kilcar liegt unweit der Slieve Leagues, einer fantastischen Klippenformation an der Donegal Bay, und etwa 30 Kilometer südlich von Ardara. Viele, der von den Webereien im Donegal verwobenen Garne werden hier gesponnen. Falsch wäre es anzunehmen, daß die verwendete Wolle auch von den hier überall anzutreffenden Schafen stammt. Shaun berichtet weiter: „Die Wolle irischer Schafe ist sehr dick, deshalb bestehen die Tweedfäden aus ausgewählten Mischungen. Häufig kommt die Wolle zu ihrer Herstellung aus Neuseeland, Australien, Norwegen oder England.“ Das irische Klima ist durch den Golfstrom begünstigt und im Süden der Insel gedeihen sogar Palmen. Dennoch mussten sich die irischen Schafe, anders als ihre Vettern und Cousinen in „wärmeren Gefilden“ ein „dickes Fell“ zulegen. Trotzdem ist die Tweedproduktion, ebenso wie die Herstellung der Strickpullover, der verwendeten uralten Muster, traditionell wie die kurz eingewobenen Wollfäden. Die verwendete Wolle aber stammt überwiegend nicht von der Insel.
Zentren des County Donegal, wenn man denn von Zentren –in der Bedeutung als Stadt- sprechen kann, sind Donegal Town und das annähernd sechs Mal so große etwa 15.000 Einwohner zählende Letterkenny. Verwaltungszentrum ist Lifford an der Grenze zu Nordirland. Killybegs, an der Straße zwischen Donegal Town und den Slieve Leags, ist Hafen für einen, wenn nicht sogar für den größten Teil, der irischen Fischereiflotte.
Nein, eine Landschaft kann sicher keine Melancholie empfinden. Sie kann in ihrer Einzigartigkeit Empfindungen hervorrufen. Melancholie kann warm und beruhigend sein. Wärme ist ein positives Gefühl. Farben können ebenfalls Empfindungen auslösen, beeinflussen, verstärken. Wolle, Stoff, Strick, Tweed gleich in welcher Art versponnen oder verwoben kleidet und wärmt. Aus dem „warmen“, dem erdigen Farbspektrum setzten sich die Farben des Donegal zusammen. Vielleicht erklärt sich ja so die ganz besondere Anziehungskraft dieser natürlichen, ursprünglichen Landschaft.